Unser Experte für Fetale Programmierung (Vorgeburtliche Prägung)

Prof. Dr. med. Regina Ensenauer

Spezialisierungen: Fetale Programmierung bei Stoffwechselstörungen. Experimentelle Pädiatrie

Institution und Position: Leiterin des Bereichs experimentelle Pädiatrie mit Schwerpunkt Stoffwechselstörungen an der Klinik für Allgemeine Pädiatrie, Neonatologie und Kinderkardiologie des Universitätsklinikums Düsseldorf. Universitätsprofessorin (W2) für Experimentelle Kinderheilkunde an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf.

Stand: 14.03.2018

Die Mitschrift des Interviews mit Prof. Dr. med. Regina Ensenauer zum Thema “Fetale Programmierung (Vorgeburtliche Prägung)”

Was versteht man unter einer "fetalen Programmierung"?

Nun unter dem Konzept der fetalen Programmierung versteht man einen Prozess, der eine Krankheitsdisposition oder mit anderen Worten ein Krankheitsrisiko auslöst, das am ehesten durch epigenetische Prägung über mehrere Generationen hinweg bestehen bleibt. Unsere Erkenntnisse rühren her von Beobachtungsstudien am Menschen und auch von tierexperimentellen Daten die zeigen, dass in bestimmten kritischen Phasen der fetalen Entwicklung das intrauterine Milieu, und damit meine ich das Milieu in dem der Feten sich befindet im Mutterleib, langanhaltende und weitreichende Folgen haben kann, für die Gesundheit dieses Feten später.

Was versteht man unter Epigenetik?

Unter epigenetischen Vorgängen verstehen wir Veränderungen in der Funktion und Aktivität von Genen und nicht in der Struktur, das heißt in der Abfolge der Sequenz in der DNA. Hierzu zählen unter anderem Prozesse die wir als DNA-Methylierung bezeichnen, das heißt chemische Veränderungen von Steuerregionen, die bestimmten Genen vorgeschalten sind. Das heißt, kommt es nun durch eine Veränderung des Nährstoffmilieus im Mutterleib des Feten zu chemischen Veränderungen dieser Steuerregionen, dann werden diese blockiert und das entsprechende, hier zugeordnete Gen kann nicht mehr abgelesen und aktiviert werden.

Welche Entwicklungsbereiche des Kindes werden im Mutterleib geprägt?

Nach heutigem Wissensstand sind die verschiedensten Organsysteme des Feten betroffen, auch ganz abhängig von den Einflussfaktoren, die auf den Feten einwirken, In Utero, also im Mutterleib. Man weiß, dass Organsysteme wie die Niere betroffen sein können, die Nierenfunktion, das Herz-Kreislauf-System, also der Blutdruck, später bei diesen Nachkommen, aber auch die Ausbildung der Nervenzellen im Hirn, wie auch die Übergewichtsentwicklung und der gesamte Stoffwechsel. Damit meine ich auch die Ausbildung des Fettgewebes, oder die der Bauchspeicheldrüse und insulinproduzierenden Zellen.

Welche Einflüsse haben besondere Bedeutung für die vorgeburtliche Prägung?

Als ganz wesentliche Einflüsse, die den Feten im Mutterleib betreffen können, gelten zum einen die mütterliche Unterversorgung mit Nährstoffen und damit einhergehend auch die Wachstumsverzögerung des Feten im Mutterleib auf der einen Seite. Auf der anderen Seite aber auch das Problem der mütterlichen Überversorgung und hierzu zählt die mütterliche Adipositas, damit meine ich Fettleibigkeit, die schon bei Beginn der Schwangerschaft, also Konzeption, das heißt Befruchtung, besteht, aber auch eine disproportional hohe Gewichtszunahme in der Schwangerschaft sowie auch der Schwangerschaftsdiabetes. Andere Faktoren die auf den Feten einwirken können in der Schwangerschaft und eine große Rolle für ihn spielen können für die Gesundheit später, ist das Rauchen in der Schwangerschaft, aber dann auch direkt nach der Geburt das Stillen und auch die Stilldauer, sowie auch die Gewichtszunahme in den ersten Monaten und in den ersten 1-2 Lebensjahren des Kindes.

Wird der Stoffwechsel des Menschen schon im Mutterleib geprägt?

Ja, das ist der Fall, insbesondere auch in Bezug auf den Zuckerstoffwechsel des Menschen später. Auch auf die Entwicklung von Übergewicht im Sinne von Einflüssen auf die Fettzellen, die Bauchspeicheldrüsenzellen die Insulin produzieren und auch auf Sättigungssignale wie Insulin oder auch Leptin und diese Veränderungen können lebenslang bestehen bleiben.

Welche Auswirkungen hat Mangelernährung in der Schwangerschaft?

Wenn das Kind im Mutterleib schlecht gedeiht und nicht gut genug wächst und mit einem kleinen Geburtsgewicht zur Welt kommt, dann kann dies negative Auswirkungen auf den Glukosestoffwechsel des Kindes später haben, aber auch auf hormonelle Veränderung die hiermit zusammenhängen, wie eine Insulinresistenz kann entstehen in Richtung der Entwicklung eines Typ 2 Diabetes. Es kann aber auch zu weiteren chronischen Veränderungen kommen, wie ein Bluthochdruck der später früher entsteht als erwartet, aber auch Veränderungen im Sinne einer Herz-Kreislauf-Erkrankung oder Übergewichtigkeit. Die Erkenntnisse sind nicht ganz neu, sie gehen zurück auf die sogenannte Dutch-Winter-Kohorte. Hierunter verstehen wir die Phase am Ende des Zweiten Weltkriegs in der es im Rahmen der Hungersnot zu einer kalorischen Unterversorgung bei schwangeren Frauen auch kam und natürlich auch deren Feten. Und man hat Dekaden später diese Nachkommen weiter untersucht und nachuntersucht und gesehen, dass bei diesen Nachkommen aufgrund der Unterversorgung im Mutterleib es zu einer erhöhten Rate an Übergewichtigkeit, Fettstoffwechselstörungen, und auch Diabetes kam.

Welche Auswirkung hat Überernährung in der Schwangerschaft?

Die mütterliche Überversorgung des Feten, wie die mütterliche Adipositas, also Fettleibigkeit zu Beginn der Schwangerschaft, aber auch die disproportional hohe Gewichtszunahme der Frau in der Schwangerschaft oder auch die Entwicklung eines Gestationsdiabetes führen alle zu einer Überversorgung und Überernährung des Feten mit Nährstoffen wie Fettsäuren, Aminosäuren oder auch Glukose, die über Transporter in der Plazenta zum Feten dann auch übergehen und dazu führen, dass das Kind verstärkt wächst, ein hohes Geburtsgewicht hat bei Geburt – was als Makrosomie bezeichnet wird – und auch ein erhöhtes Risiko hat für Übergewichtigkeit später. Auch einhergehen kann die ganze Situation mit einer Insulinresistenz und einer Entwicklungen in Richtung eines Typ 2 Diabetes. Insgesamt besteht ein zwei bis dreifach erhöhtes Risiko für dieses Kind später übergewichtig zu werden, wenn die Mutter schon bei der Konzeption, also der Befruchtung, ein erhöhtes Gewicht hatte, also eine Adipositas oder Fettleibigkeit, aber auch die disproportional hohe Gewichtszunahme in der Schwangerschaft als solches ist alleine betrachtet schon ein erhöhter Risikofaktor für die Entstehung von Übergewichtigkeit des Kindes später. Insgesamt muss man sehen, dass es bei einem deutlich erhöhten Body-Mass-Index, also BMI, der Frau zu Beginn der Schwangerschaft auch zu einem erhöhten Risiko von Stoffwechsel-Komplikationen bei der Frau in der Schwangerschaft kommt, nämlich der Entstehung eines Schwangerschaftsdiabetes. Frauen, die einen BMI von 30 haben zu Beginn der Schwangerschaft, das heißt ca. ab 82 Kilo bei einer Größe von 1.65 m, haben ein etwa 3,5-fach erhöhtes Risiko für einen Schwangerschaftsdiabetes und Frauen, die einen noch höheren BMI haben von etwa 35, das heißt 95 kg bei einer Größe von 1.65 m haben ein 9-fach erhöhtes Risiko in der nachfolgenden Schwangerschaft einen Diabetes zu entwickeln.

Welchen Einfluss hat mütterlicher Diabetes auf die vorgeburtliche Prägung?

Man weiß mittlerweile leider seit vielen Jahren, nämlich seit Beginn der 50er Jahre, dass der mütterliche Diabetes einhergeht mit einem erhöhten Blutzuckerspiegel bei der Mutter, auch zu einer erhöhten Blutzuckerzufuhr beim Kind führt. Das Kind reagiert mit einer vermehrten Insulinausschüttung, der sogenannten Hyperinsulinämie, und Insulin als ein anaboles, aufbauendes Hormon führt dazu, dass das Kind deutlich wächst und ein eher hohes Geburtsgewicht entwickelt, die sogenannte Makrosomie. Wir wissen aber auch, gerade aus Bevölkerungsgruppen wie den Pima-Indianern, die eine hohe Rate an Diabetes Typ 2 entwickeln und auch Schwangerschaftsdiabetes entsprechend dann haben, dass es auch zu weiteren Organveränderungen bei den Nachkommen später kommen kann, wenn ein Diabetes in der Schwangerschaft vorliegt, wie z.B. eine Beeinträchtigung der Nierenfunktion, des Blutdrucks oder auch eben der länger anhaltenden Übergewichtigkeit und auch Veränderung der Insulin-produzierenden Zellen mit einer Diabetesentwicklung dann auch verfrüht und verstärkt ausgeprägt bei den Nachkommen dieser Frauen mit Diabetes in der Schwangerschaft. In den letzten Jahren kamen neue Erkenntnisse dazu, sodass wir nun wissen, dass auch Blutzuckerwerte unterhalb diagnostischer Grenzwerte für den Schwangerschaftsdiabetes einen Einfluss schon haben können, auf die Gewichtsentwicklung und auf die Höhe des Gewichtes der Nachkommen bei Geburt.

Welche Bedeutung hat mütterlicher Stress?

Extrem negative Erfahrungen der Mutter in der Schwangerschaft können tatsächlich durch eine epigenetische Umprogrammierung der Stressachse beim Feten zu Veränderungen führen, die möglicherweise einhergehen könnten mit emotionalen Störungen und eventuell sogar auch Verhaltensauffälligkeiten bei den Nachkommen später. Man weiß, dass Kinder von Müttern die in der Schwangerschaft extremer Gewalt durch den Partner ausgesetzt waren, Veränderungen, und zwar epigenetische Veränderungen, am Glukokortikoidrezeptor-Gen haben und eine vermehrte Cortisolausschüttung zeigen, also eine vermehrte Ausschüttung des Stresshormons. Inwieweit Stress in der Schwangerschaft einhergehen könnte mit Veränderungen auch im Sinne von psychiatrischen Auffälligkeiten, in der Entwicklung von Depressionen oder Schizophrenie ist derzeit noch Gegenstand von Forschungen.

Wie viel Alkohol darf man in der Schwangerschaft trinken?

Alkohol kann zu deutlichen und schweren embryonalen Entwicklungsstörungen führen, daher wird generell empfohlen auf Alkohol während der Schwangerschaft komplett zu verzichten.

Hat das Rauchen einen Einfluss auf die vorgeburtliche Prägung?

Es war schon lange bekannt, dass Rauchen zu einer intra-uterinen Wachstumsverzögerung des Kindes führt. Der Zusammenhang von Rauchen mit Übergewichtigkeit des Kindes später, kam erst nach und nach und wurde klarer, auch an großen Datensätzen die man analysiert hat. So zeigt eine Meta-Analyse von 80.000 Kindern aus 14 Beobachtungsstudien, dass das Risiko, wenn in der Schwangerschaft geraucht wird für das Kind 50% höher liegt später übergewichtig zu werden und insbesondere scheint hier das Risiko in der Frühschwangerschaft besonders ausgeprägt zu sein. Man hat diese Dinge auch an Tierstudien reproduzieren können und man weiß, dass insbesondere Nachkommen mit einem kleinen Geburtsgewicht häufig ein rasches Aufholwachstum zeigen, direkt nach der Geburt und dieser Mechanismus scheint eine Rolle zu spielen für die Prägung für späteres, kindliches Übergewicht.

Mit wem kann ich mich als Mutter am besten zu diesem Thema beraten?

Am besten sollte man mit dem eigenen Gynäkologen sprechen. Wenn möglich vor einer geplanten Schwangerschaft, um diese Thematik, auch die einen Risikofaktoren die möglicherweise bestehen, zu besprechen.

Infos zur Person

Ich habe mich schon sehr lange mit Stoffwechsel, medizinischen und biochemischen Prozessen beschäftigt, insbesondere was den Abbau von Aminosäuren anbetrifft. Im Lauf der Zeit hat man festgestellt, dass Aminosäuren auch ein starkes Signal geben können für die Entstehung von Fettzellen. Gleichzeitig als Kinder-Medizinerin ist es mir ein Anliegen präventiv medizinische Konzepte zu entwickeln um Adipositas-Entstehung zu vermeiden. Wir haben auf dem Gebiet schon seit einigen Jahren intensiv gearbeitet. Drittmittel eingeworben und auch veröffentlicht, sodass ich dann vor einigen Jahren einen Ruf auf eine Universitätsprofessur erhielt, hier an der Heinrich-Heine-Universität in Düsseldorf, und seither die Abteilung leite für experimentelle Pädiatrie und Stoffwechselstörungen.

Infos zur Klinik

Wir haben vor einiger Zeit ein sogenanntes Mausmodell für fetale Prägung von Adipositas entwickelt, dass die Besonderheit hat, dass wir hierbei die Einflüsse von einer fettreichen Ernährung, rein in der Schwangerschaft studieren können und die Effekte auf die Nachkommen über eine lange Zeit hinweg. Neben diesen mausexperimentellen Untersuchungen, die uns sehr viel helfen im Verständnis des Mechanismus, haben wir in den letzten Jahren eine sehr große Mutter-Kind-Kohorte aufgebaut, die sogenannte PEACHES Mutter-Kind-Kohorte von 1.700 Müttern und deren Kindern, die wir longitudinal und prospektiv über die Zeit entlang verfolgen. Wir schauen hierbei insbesondere auf die Gewichtsentwicklung der Kinder, aber auch auf cardio-metabolische Störungen. In dieser großen Studie sind insbesondere Frauen mit Adipositas in der Schwangerschaft, aber auch Gestationsdiabetes als wichtige Risikofaktoren für fetale Prägung des Kindes.

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